Für Süddeutsche Magazin:
Das Große Rätselrennen
Das schwierigste Rätsel Deutschlands. Von 1990 bis 2007 jeweils im August über mehrere Ausgaben des SZ-Magazins. Autoren zunächst CUS & MZ, von 1996 bis 2007 nur CUS. Graphische Umsetzung jedes Jahr von einem anderen Spitzen-Ilustrator.
Nie dagewesen
Beim Start 1990 gibt es in Anspruch und Schwierigkeit kein
vergleichbares Rätsel, nicht in Deutschland und vermutlich nirgends auf
der Welt. Dazu muss erst eine ganz neue Rätsel- und Formensprache
erfunden werden. Das Rätsel fordert eine bis dahin nicht erreichte
Präzision in den Formulierungen und in der Mechanik des Gesamtlösung.
240.000 Arbeitstage fettestes Hirnschmalz
Ein Unternehmensberater errechnet, dass jedes Jahr rund 240.000 Arbeitstage für die Lösung des Rätselrennens aufgewendet werden.
Die Fragen
Berühmt wird das Rätselrennen für seine doppeldeutigen Fragen, bei der
Lösung A völlig auf der Hand liegt, aber Lösung B richtig ist. Der
Klassiker dabei die erste Frage „Aller Anfang ist schwer“ – alles, fast
alles deutet auf San Francisco, die Golden Gate Bridge und die Cable
Cars hin, und doch ist jedes Jahr eine andere Weltstadt richtig und nie
war es die Golden Gate Bridge.
Oder das Rätsel hinter dem Rätsel, bei dem man mit Stufe 1 der Lösung zufrieden ist und nicht mehr nach Stufe 2, der richtigen Lösung sucht. Beispiel: Wann wurde jemand volljährig, der am 29. Februar 1956 (Schaltjahr) in Buxtehude geboren wurde? Scheinbare Lösung: Mit Ablauf des 28. Februar 1974, also am 1. März. Richtige Lösung: 1.1.1975 (Senkung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre).
Nie gelöst wird die Frage nach einem abgebildeten Schiff namens Cevic
– es ist das gleiche Schiff, das in anderer Perspektive auf der Packung
von Fishermen‘s Friend zu sehen ist. Von allen Teilnehmern falsch
gelöst wird auch eine weitere Frage des Rätselrennens. Doch sei nicht
verraten, welche das war.
Die Mutter aller Niederlagen …
… wenn der Brief mit der richtigen Lösung als unzustellbar zurückkommt,
weil auch die Einsendeadresse herauszufinden ist – und bei weitem nicht
alle finden die richtige.
Google-proof
1992 bestellt CUS seine erste Pizza per Internet – an der University of
Michigan in Ann Arbor. 1996 geht das Rätselrennen ins Netz. Nachdem die
Suchmaschinen das Rätselmachen und das Rätsellösen revolutionieren, sind
wir die ersten, die das Rätsel mit dem Stempel „Google resistant“
versehen.
Die Löser
Das Rätselrennen zieht die findigsten Köpfe der Nation magisch an. Über
die Jahre entwickelt sich eine verschworene Rätsellöserszene – extrem
schlau, extrem zielorientiert, extrem vernetzt. Der selbstgewählte
Ehrenkodex: Kein Rätsler verrät dem anderen eine Lösung. Man gibt sich
Hinweise, ja, hilft ein bisschen weiter, aber Lösungen weitersagen oder
allzu offentsichtliche Hinweise geben ist tabu. Denn der Weg zur Lösung
ist das Ziel. Die geschenkte Lösung ist dagegen langweilig.
Mehrere dauerhafte Beziehungen entstehen zwischen Rätslern. Wie viele Beziehungen wegen rätselbedingtem Dauereinsatz im August in die Brüche gehen, ist nicht bekannt.
Ende & Anfang
Im August 2007 steigt das 18. und letzte Rätselrennen. Im Dezember 2007
beginnt Das schwerste Rätsel der Schweiz im Folio der Neuen Zürcher
Zeitung.
Das Große Rätselrennen von 1990 – 2007 – das schwierigste Rätsel
Deutschlands. Man sieht schon an den Titelblättern: Jedes Jahr ein
anderes Thema, jedes Jahr ein anderer Illustrator, jedes Jahr eine
komplett neue Gestaltung. Die ersten fünf Jahre Rätselrennen von CUS
& MZ, ab 1997 von CUS allein.
Herausforderung für den Rätselmacher:
Zunächst den Standard setzen, einen völlig neuen Rätseltyp schaffen, den
es bis dahin noch nie gegeben hat, eine eigene Terminologie entwickeln.
Später schließlich: Google schlagen. Das Rätselrennen war das erste
Rätsel mit dem Vermerk „google-proof“.
Herausforderung für Rätsellöser:
Vordergründigen Lösungen misstrauen. Die eher einfachen von den nur
scheinbar einfachen Fragen trennen. Bei den schwierigen Fragen das
Rätsel hinter dem Rätsel lösen. Nicht vom Wunschergebnis her denken und
die Frage der möglichen Lösung, sondern die Lösung der Frage anpassen.
Verifys finden. Die Gesamtlösung knacken. Die Einsendeadresse
herausfinden. Niemals aufgeben. Aushalten, wenn man nach drei Wochen
schärfster Hirnakrobatik und Abschicken des Gesamtlösung in ein
schwarzes Loch fällt.
Rätselrennen
von Jan Weiler
Jan Weiler war über viele Jahre der betreuende Redakteur des Rätselrennens und schließlich Chefredakteur des SZ-Magazins.
Wie lange braucht CUS, um sich die Fragen auszudenken?
Ein Leben lang. CUS’ Gehirn arbeitet ständig an neuen Fragen und
Rätseln. Er hat nie Urlaub, nimmt nie frei und macht nie blau: Ein
mustergültiger Autor. Das Große Rätselrennen beginnt für ihn bereits im
November des Vorjahres. Dann trifft er sich mit seinem Redakteur zum
ersten Mal. Beide beratschlagen das Thema des kommenden Spiels und
dessen Rahmenhandlung. Da wird verworfen und gegrübelt und man trennt
sich mit einer Verabredung im Januar. Bis dahin hat er schon die ersten
Fragen vorbereitet und verifiziert Quellen. Wichtig dabei: Eine Frage,
die er sich im Februar ausdenkt, muss auch im kommenden Sommer noch
lösbar sein. Handlung, Mechanik und die Rätsel selbst entwickelt er dann
parallel. Im März gibt es erste Entwürfe der Fragen, die CUS seinem
Redakteur vorstellt. Eine harte Prüfung: Wenn der Redakteur nämlich die
Antwort sofort weiß, ist die Frage zu einfach und fliegt raus. Zum Glück
für CUS und zum größten Bedauern des Redakteurs passiert dies jedoch
nur ganz, ganz selten.
Wer denkt sich die Bilder für das große Rätselrennen aus?
Wenn die Handlung und die Spielmechanik des Großen Rätselrennens
feststeht, muss eine Bildsprache für das Große Rätselrennen gefunden
werden. Die denkt sich der Redakteur mit dem Art Director des
SZ-Magazins aus. In jedem Jahr wird das Große Rätselrennen von einer
anderen Illustratorin oder einem anderen Illustrator umgesetzt. Die
Auswahl trifft der Art Director mit dem Redakteur. Natürlich hat CUS
dabei ein Wörtchen mitzureden. Ohne ihn wird diese Entscheidung nicht
getroffen. Die Illustratorin (oder der Illustrator) werden eingeladen
und mit der Spielidee vertraut gemacht. Natürlich erfahren sie niemals
die Lösungen für einzelne Fragen, sie illustrieren lediglich den
Wortlaut der Fragen und bauen auf CUS’ Wunsch kleine Details als
Hinweise für die Rätsler ein. Auch wenn die Zeichnerin vor Neugier
platzt: Sie weiß nichts und es hat auch keinen Sinn, sie anzurufen.
Wer kennt die Lösung des Großen Rätselrennens?
Gleiches gilt übrigens für sämtliche Mitarbeiter und Angestellte des
SZ-Magazins und des ganzen Süddeutschen Verlages. Auf Fragen ernten
verzweifelte Rätsler nur Schulterzucken. Es gibt nämlich nur ganz genau
zwei Menschen auf der ganzen großen Welt, die alle Lösungen kennen
(soweit sie bekannt sein können): CUS und sein Redakteur. Ersterer ist
anonym, letzterer ein Lordsiegelbewahrer des Rätselgeheimnisses. Keiner
hat ihm je ein Sterbenswörtchen über irgendwelche Antworten entlocken
können. Außerdem ist er meistens verreist, wenn das Große Rätselrennen
tobt. CUS hingegen hält sich stets in der Nähe, aber im Hintergrund auf
und beobachtet nicht ohne Lust, wie die Leser des SZ-Magazins den Kopf
über ihn schütteln, jubeln oder fluchen. Das ist ihm die viele Arbeit
wert. So isser.
Gab es Bestechungsversuche?
Allerhand. Auch Erpressungen. Zur Redaktionslegende hat sich in diesem
Zusammenhang ein älterer Herr gemacht, der einst mit einem Angelhocker
und einem Rauhaardackel in der Redaktion aufkreuzte und einen
Sitzsstreik begann, weil er die Antwort auf Frage 17 haben wollte. Da
ihm niemand (wirklich!) hätte helfen können und es auch niemand wollte,
blieb er einen ganzen Tag im Flur der Redaktion sitzen und sah den
Redakteuren bei der Arbeit zu. Schließlich ging er gegen Büroschluss und
tauchte nie wieder auf. Andere versuchten es mit dramatischen Appellen
an unsere Sekretärin: „Wenn Sie mir nicht die Frage 9 verraten, lässt
sich meine Frau scheiden!“ Da kann man nur sagen: Recht hat die Frau, so
oder so. Auch Geldbeträge und verbindliche Essenseinladungen werden
regelmäßig ausgeschlagen. Gerade gestern rief ein investigativer Rätsler
an und versuchte es mit einer den Journalisten nicht ganz unbekannten
Methode, die seit dem Film „Die Unbestechlichen“ jeder Kinogänger kennt.
„Sie brauchen gar nicht zu antworten“, sagte der Mann. „Ich sage Ihnen
jetzt die Antwort auf Frage 1 und wenn die Antwort stimmt, sagen Sie
einfach nichts.“ Hat auch nicht geklappt.
Wer ist CUS?
CUS ist ein Mittelding aus einem Akronym und einem Kürzel. Dahinter
verbirgt sich der bekannteste und geheimnisvollste Rätselautor
Deutschlands. Was darf man über ihn verraten, ohne ihn zu verraten? Ein
paar Rätselrenner haben ihn kennengelernt in den bisher zehn
Finalrunden. Die können sicher einiges erzählen, beachten Sie dafür die
Links, die zu Finalberichten führen. Er wohnt in München, betätigt sich
zuweilen auch als Journalist, hört in Biergärten heimlich den
Rätselrennern zu, die über seinen Aufgaben brüten. Er wird auch
weiterhin das größte Rätsel des Rätselrennens bleiben, schon um
unbehelligt beim Bier sitzen zu können.
Wie ist das Große Rätselrennen entstanden?
Als das SZ-Magazin 1990 startete, wurde eine Idee für den Sommer
gesucht. Eine Idee, mit dem man in den leseunfreundlichen August-Wochen
die Leser vom Grillen und Radfahren abhalten konnte. Der Student CUS und
sein Kumpel MZ hatten im weiteren Umkreis des SZ-Magazins Wogen
geschlagen, indem sie Rätsel-Rallyes veranstalteten, die oft das ganze
Wochenende dauerten und die Teilnehmer verzweifelt durch Bayern irren
ließen. Sie wurden beauftragt, sich ein Rätsel auszudenken, das die Idee
der Rallye ins SZ-Magazin transportieren sollte. Also erfanden sie das
große Rätselrennen. Und weil der Anspruch des SZ-Magazins groß und die
Ideen der Macher so gut waren, entschied man sich, das Rätsel mit zwei
Elementen einzigartig zu machen. Erstens lief das Rätselrennen fortan in
drei Heften hintereinander. Serien hat das Magazin sonst nie. Zweitens
sollte es das schwerste Rätsel Deutschlands sein. Diese beiden
Eigenschaften machen das große Rätselrennen bis heute zu einer
unverwechselbaren Marke.
Wie viele richtige Einsendungen gibt es?
Gemäß dem Anspruch, besonders schwer zu sein, gibt es nur sehr wenige
richtige Einsendungen. Das Rätselrennen des Jahres 1999 muss wohl das
schwerste gewesen sein: Nur 343 Teilnehmer schickten die richtige Lösung
an die richtige Adresse. Im Jahr davor waren es 3500. Ansonsten bewegt
sich die Zahl irgendwo dazwischen. Ganz sicher ist aber, dass nicht alle
Einsender das Rätselrennen auch wirklich mitgemacht haben. Nur so ist
zu erklären, dass fünfköpfige Familien fünf Postkarten mit der richtigen
Lösung aber derselben Handschrift einschicken. Man kann es nur immer
wieder betonen: Mehrfacheinsender haben keine Chance, auch wenn sie sich
als Tante Elfriede tarnen. Denn Tante Elfriede muss am großen Tag der
Finalauslosung eine Testfrage am Telefon beantworten. Die kann nur
wissen, wer auch wirklich mitgemacht hat – spätestens hier fliegt der
kleine Schwindel auf.
Wie viele Leser machen dabei mit?
Das ist natürlich eine viel größere Zahl und dürfte, nach allem was wir
wissen, in die Hunderttausende gehen. Keine Uni ohne Rätselcliquen,
keine Großunternehmen ohne miteinander konkurriende Teams, keine
Kleinstadt ohne Hobbymannschaften. Natürlich gibt es auch Kleinstgruppen
und sogar ungezählte Einzelkämpfer. Die meisten geben irgendwann das
Rennen auf, nicht ohne vorher die Aufgaben als „unlösbar“ oder „falsch“
zu bewerten. Aus Leserbefragungen und Analysen weiss das SZ-Magazin,
dass die überwiegende Mehrheit der Leser nicht nur das Große
Rätselrennen mit Vergnügen liest, sondern auch die Auflösung. Die Mutter
des Chefredakteurs sagt dann immer: „Wer soll denn sowas wissen“. Für
sie sind Rätselrenner Verrückte. Aber immerhin sympathische Verrückte.

